http://www.jungewelt.de/2012/01-24/016.php
Hintergrund. Brandenburg begeht ein Jahr lang den 300. Geburtstag von Friedrich II.
Von Kurt Pätzold
Foto: Reuters
»Friedrich-Freude-Eierschecke«
Anders der Ausgang in Kunersdorf ein Jahr später am 12. August 1759, als der Preußenkönig die Schlacht mit den verbündeten österreichisch-russischen Truppen risikobereit und abenteuerlustig suchte und einen erheblichen Teil seiner Truppen in heilloser Flucht sah. Für einen Moment glaubte er sein Königreich schon verloren. Zufrieden und benebelt von ihrem Triumph feierten die Sieger ihn mehr, als daß sie den Sieg ausbeuteten. Friedrich formierte sein Heer erneut.
Mit den Schlachtszenen von Kunersdorf begann übrigens ein Nazifilm des Regisseurs Veit Harlan, der 1942 in die Theater kam. Er stellte die Deutschen, die eben durch die Winterschlacht vor Moskau anhaltend verunsichert waren (wiewohl über Fluchten der Wehrmachtstruppen geschwiegen wurde), darauf ein, daß sich das »Schlachtenglück« wieder wenden werde wie einst. Auch in Kunersdorf gab es keinen Soldatenfriedhof. Er hätte allein für 6000 tote Preußen Platz bieten müssen.
Das Angebot der Seelower Gedenkstätte, was immer man von dem Einfall halten mag, ist doch in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen, weil es an Stätten führt, die den Mann, der da befehligte, nicht als den glorreichen Sieger erscheinen läßt, als der er noch immer durch vielerlei Vorstellungen von der Geschichte seiner Kriege geistert. Allerdings nur noch durch die einer Minderheit von Deutschen. Denn Potsdamer Experten, die wissen wollten, welche Aufgabe ihnen bevorstehe, wenn die Schwelle zu 2012 überschritten werde, hatten festgestellt, daß von den Bundesbürgern, die jünger als 28 Jahre alt waren, nur 16 Prozent mit dem Namen Friedrichs II. irgendeine historische Gestalt zu verbinden wüßten. Nun mag die Wahl auf Zorndorf und Kunersdorf, wo von Friedrichs »Kriegskunst« wenig aufflammte, einzig aufgrund der Nähe der Orte gefallen sein. Andere Schlachtorte, wie Züllichau (poln. Sulechów) nahe Grünberg (poln. Zielona Góra), wo die Preußen am 2. und 3.Juli 1759 den Österreichern unterlagen, und Leuthen (poln. Lutynia), wo Friedrichs Armee die Österreicher 1757 geschlagen hatte, wären nur mit erheblichem größerem Aufwand zu erreichen gewesen.
Zweitens aber bringt die vorgesehene Tour die Gedanken überhaupt auf den absolutistischen Kriegsherrn, der im Jubel und Trubel der angekündigten Veranstaltungen eher verborgen wird.
Die Politiker hierzulande haben mit der Ablehnung des Krieges in Afghanistan, den Deutschland als eine der verbündeten Mächte führt, durch die Mehrheit der Landeskinder genug. Das Thema Krieg wird gemieden. Und mit diesem Hohenzollern läßt sich das machen. Mit ihm können Reden auf die Musik und die Architektur, den Ackerbau und das aufkommende Manufakturwesen gebracht werden. Dieser Brunnen ist nahezu unerschöpflich: Friedrichs Flöte und seine Hunde, Sanssoussi und das Neue Palais, seine Ehe, die Oper »Montezuma« und das Opernhaus in Berlin, seine Eßgewohnheiten und seine Kleidung. Damit sind Bücher gefüllt worden, die Regalreihen besetzen. Dort bedienen sich in diesen Tagen viele bis hin zu jenem Potsdamer Kabarett, daß sein Programm »Friedrich-Freude-Eierschecke« nennt.
Das Friedrich- oder auch Preußenjahr, wie seine Akteure das Spektakel nennen, zielt auf den ersten Blick weniger auf die Köpfe, denn auf die Geldbeutel und auf die Unterhaltung von Massen, die ohne Events nicht leben sollen und zu Millionen inzwischen auch an sie gewöhnt wurden. Den Potsdamern wird vom Verein Kulturland Brandenburg zum Auftakt ein »Fest für Friedrich« veranstaltet, das zwölf Tage dauert und in den 24. Januar mündet, an dem die Kronprinzessin im Berliner Schloß den kleinen Fritz zur Welt brachte, der sich später den Dauerplatz in der europäischen Geschichte verschaffte. Am Elend des Heranwachsenden führt keine Friedrich-Feier vorbei. Den Part gibt eine Theatergruppe in Berlin-Köpenick. Im Wappensaal des dortigen Schlosses wird das Stück »Kriegsgericht in Köpenick« zu sehen sein, die frei nachgestellte Verhandlung der königlichen Juristen, die den Offizier Hans Hermann von Katte, den Freund des Kronprinzen, zum Tode verurteilen sollten und das dann doch lieber ihrem Auftraggeber überließen.
Herr der Herzen
Foto: ddp
Und die Sachen?
Was eigentlich, um die Sache beim Namen zu nennen, sollen sich die Sachsen bei diesem Jahresfest denken? Während nordwärts die Brandenburger sich etwas vorflöten lassen und ihre gedankenarmen Gäste an dem Schokoladenfriedrich herumlutschen, fallen ihnen ihre umgebrachten, ausgeplünderten, als Geiseln genommenen, zum Kriegszwangsdienst verpflichteten fernen Vorfahren ein. Denn die erste wie die letzte Schlacht des Siebenjährigen Krieges, der mit dem Einfall der preußischen Armeen in das südliche Nachbarland am 29. August 1756 begann, waren auf dem Boden Sachsens geschlagen worden. Die erste bei Pirna, die letzte bei Freiberg.
Es war einer der frühen liberalen Geschichtsschreiber, Friedrich Christian Schlosser, in Jever geboren, aber im Südwesten lehrend und arbeitend, der in seiner voluminösen 18 Bände umfassenden »Weltgeschichte für das deutsche Volk«, die in Frankfurt in den Jahren von 1844 bis 1857 erschien, das Resultat der Kriegszüge und der Besatzungszeit in vier Worte zusammenfaßte: »Sachsen war zugrunde gerichtet.« Vordem schon hatte Schlosser geschildert, wie das geschehen war: Friedrich »drückte das Land Sachsen wie einen Schwamm aus. (…) In Sachsen verfuhren die Preußen ganz nach der Art der Türken. So wurde z.B. einst in Leipzig, um mit Gewalt Geld herauszupressen, der ganze Magistrat auf die Pleißenburg gebracht, wo die ersten Kaufleute der Stadt schon seit mehreren Wochen ohne Licht, ohne Stühle, ohne Betten und sogar ohne Stroh gefangen saßen. 70 Kaufleute, welche geflüchtet waren, wurden ihrer Güter beraubt. Ja, sogar die Kirchengefäße ließ Friedrich wegnehmen.«
Genug. Jedenfalls hätten die Sachsen, vigilant wie sie sind, keine größeren Schwierigkeiten, ihrerseits eine Ausstellung zu gestalten, die an das vor 300 Jahren geborene Knäblein und dessen sie betreffende Mannestaten erinnert. Auch mit einem Tourismus an Schlachtenorte kämen sie nicht in Verlegenheit, etwa nach dem damals zum Kurfürstentum gehörenden Roßbach südlich von Merseburg, wo Friedrichs Armee am 5. November 1757 die Franzosen besiegte, oder nach Torgau, wo Österreicher am 3. November 1760 den Preußen in der letzten großen Schlacht des Krieges unterlagen. Auch Hochkirch (Bukecy) im Obersorbischen stünde zur Wahl, zumal dort die Preußen am 14. November 1758 von den Österreichern das Fürchten gelehrt bekamen. Doch mögen sie auch auf solchen Ausstellungskrieg und derlei Tourismus nicht versessen sein, hätten sie immerhin das Recht zu fragen, wann endlich sich ein Nachfahre der brandenburgischen Preußen, sagen wir der in Potsdam regierende Ministerpräsident, für die Untaten entschuldigt, die von den Eindringlingen jahrelang während der Besatzungszeit verübt wurden.
Indessen zurück zum Ausgelassenen und zu dem liberal gesinnten Historiker aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Für Schlosser war Friedrich II. »der Große« und der »einzige große Regent seines Jahrhunderts«. Doch hinderte ihn dieses Generalurteil über den Platz, den der Preußenkönig beanspruchen könnte, nicht im geringsten, dessen Politik in Beziehung zum Leben der Volksmassen in seinem Reich zu setzen, die nach einer Äußerung Friedrich Engels’ damals »einen tiefen Schlaf« taten. Die Hinterlassenschaft der schlesischen Kriege – es war nicht die des Preußenkönigs allein – faßte er so zusammen: Die »meisten Länder Deutschlands waren durch den Krieg in einem unbeschreiblich traurigen Zustand versetzt worden. Westfalen, Hessen, die Marken, Schlesien und Böhmen waren mehr oder weniger gänzlich verwüstet. (…) Hannover verarmt, Franken und Thüringen hatte noch ganz zuletzt der preußische General Kleist mit Brandschatzungen heimgesucht.« Von Sachsen war schon die Rede.
Klassenfrage ausgeblendet
In den folgenden 23 Friedensjahren, die der alternde König noch regierte, hätte er sich angestrengt, seinem Lande »aufzuhelfen«, und »unermüdliche Fürsorge für die Untertanen« gezeigt. Doch habe diese Zuwendung »vorzugsweise einer einzigen Klasse« gegolten, dem Adel. Nicht nur das diesem Gelder des Staates zuflossen, auch für »die Bildung des Adels tat er mehr, als für den Unterricht der Bürger«. Zur selben Zeit, da Friedrich »den begüterten Adel durch große Summen unterstützte«, habe er Steuern und Lasten eingeführt, »welche vorzugsweise auf den ärmsten Klassen lasteten.« Schlosser stand nicht an, eine Antwort auf die Frage anzubieten, was die Quelle dieser Politik, womit er zum Gedanken- und Gefühlshaushalt des Königs kam, jedoch auf ganz andere Weise als heutige Geschichtsdeuter. Die Bevorzugung des Adels und deren Rechtfertigung habe Friedrich »mit der Muttermilch« eingesogen, und das »gemeine Volk verachtete« er. Soweit Befund und Urteil des Heidelberger Professors, dessen Werk im Vormärz und in den Revolutionsjahren erschien und in dessen Urteil gewiß das Maß einfloß, das er aus der Interessenlage der sich formierenden Bourgeoisie gewann. Schlosser stellte gleichsam die »Klassenfrage«, die, betrachtet man den Umgang mit dem Preußenkönig mehr als anderthalb Jahrhunderte später, jedenfalls einem großen Teil der Zunft verlorengegangen zu sein scheint.
Jede Zeit stelle ihre Fragen an die Vergangenheit. Diese richtige Feststellung läßt sich durch eine andere ergänzen: In manchen Zeiten werden auch Fragen, die nicht nur längst gestellt, sondern auch überzeugend beantwortet wurden, fallen gelassen. Daß Klassen in der Geschichte der Völker und Nationen ihre Interessen verfechten, daß sie dafür mehr oder weniger erfolgreiche Exponenten besitzen oder finden, es mögen gekrönte Häupter, autokratische oder diktatorische Führer, demokratisch geprägte oder nur gewandete Politiker sein, gehört derzeit nicht zum Unterrichtsstoff in Deutschland, einig Vaterland. Das wird der Staatsakt erneut bezeugen, den die politische Klasse der Bundesrepublik veranstaltet am Tage, da Friedrich geboren wurde, und der im einstigen Königlichen Schauspielhaus am Berliner Gendarmenmarkt stattfindet. Zugegen sein wird der amtierende Bundespräsident, der sich den Bürgern gerade selbst in der Rolle als fehlender Mensch unter Menschen dargestellt hat. Da paßt es, daß dieser Preußenkönig aus »neuer Perspektive« den Bundesdeutschen, deren Geschichtskenntnisse als so verkümmert ausgemacht wurden, in aller beteuerten Unbefangenheit vor allem als Mensch nahegebracht werden soll, mit seinen Stärken und Schwächen, Freuden und Ängsten, seinem Gelingen und Versagen. Eben einer wie du und ich.
Wie das bewerkstelligt wird? Beispielsweise von der brandenburgischen Kulturministerin mit der gefühlvollen Charakteristik: »Er war eine ambivalente und auch tragische Figur mit einer geschundenen Seele.« Jedoch nicht nur in Worten. In Neuruppin, bekannter als Fontanestadt, wohin Friedrich von seinem Vater eine zeitlang als Regimentskommandeur beordert worden war, wird ein Gewächshaus eingerichtet werden, »das sowohl handwerklich als auch künstlerisch die Begeisterung für Friedrichs Gartenarbeit zeigen« und auch dort die Legende korrigieren soll, er habe sich nur um die Kartoffelknollen gekümmert. Nein, er züchtete dort auch Melonen, Kirschen und Levkojen.
Worauf ist noch zu hoffen? Auf die Resistenz der Sachsen und vieler anderer deutscher Volksstämme zwischen den Alpen und der Nordsee, die sich diesem Friederummel nicht ausliefern werden und sei es nur, weil sie mit ihren eigenen gewesenen gekrönten und ungekrönten Blaublütigen genug befaßt werden. Auf die Bayern und insbesondere die Franken ist da am ehesten zu setzen, die haben ihren Guttenberg.