Wird Ihm auch bei uns demnächst der Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung vorgeworfen?
Am Ende wird die Wahrhaftigkeit bestehen.
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Prozessauftakt in der Türkei
Prozess gegen Putschgeneräle von 1980
Es ist ein historischer Prozess, der in Ankara heute begonnen hat. Zum ersten Mal müssen sich zwei ehemalige Militärs für ihre Beteiligung an dem Putsch von 1980 vor einem Zivilgericht verantworten. Das Urteil wird mit Spannung erwartet, auch wenn unklar ist, ob die Angeklagten es wegen ihres hohen Alters überhaupt noch miterleben.
Von Christian Buttkereit, ARD-Hörfunkstudio Istanbul
Der türkische General Evren ernannte sich nach dem Putsch zum Staatspräsidenten. Das Zusammentreffen des 12. Schwerstrafengericht heute in Ankara ist ein historischer Moment für die Türkei. Erstmals müssen sich zwei hochrangige Militärs für ihre Rolle beim Putsch 1980 vor einem zivilen Gericht verantworten. Anführer des Putsches am 12. September war der damalige Generalstabschef und spätere Staatspräsident Kenan Evren. “Die türkischen Streitkräfte sehen sich genötigt, für die Einheit und Integrität der Nation und des Vaterlandes; für die Stabilisierung der außer Kontrolle geratenen Demokratie, sowie die Wiederherstellung der geschwächten Staatsauthorität, die Führung des Landes zu übernehmen”, erklärte er damals in einer Radioansprache.
Audio: Erster Prozess gegen türkische Putschgeneräle
Christian Buttkereit, SR 04.04.2012 20:42 | 2’32
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Tausende Verhaftungen
Außer Evren steht der Ex-Luftwaffenchef Tahsin Sahinkaya vor Gericht. Ihnen wird Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung vorgeworfen. Dem Putsch vorausgegangen waren bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Gruppen. Täglich gab es Tote, zudem lag die Wirtschaft völlig am Boden.
- Historischer Prozess gegen Putschgeneräle von 1980 beginnt
tagesschau 20:00 Uhr, 04.04.2012 [Michael Schramm, ARD Istanbul] - Download der Videodatei
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Nach dem Putsch ging die Gewalt vom Militär aus: Die Generäle ließen Hunderttausende Menschen verhaften. Mehr als 500 Todesurteile wurden gesprochen, 49 vollstreckt. Weit mehr als 100 Menschen wurden zu Tode gefoltert. Zahlreiche Lehrer und Professoren erhielten Berufsverbote. Die Verfassung der Putschgeneräle schränkte zahlreiche Bürgerrechte ein und ist in Teilen auch heute noch in Kraft.
30 Jahre Immunität für Militärs
Ministerpräsident Erdogan beschneidet die Macht der Generäle. Allerdings gab es Änderungen, so wie die des Artikels 15, der hochrangige Militärs vor Strafverfolgung schützte. In einer Volksabstimmung vor zwei Jahren sprachen sich die Türken – auf den Tag genau 30 Jahre nach dem Putsch – dafür aus, die Immunität der Generäle aufzuheben.
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte damals: “Das Datum des 12. Septembers wurde bisher durch die Putschistenverfassung beschmutzt. Mit dieser Volksabstimmung beginnt nun eine neue Zeitrechnung für die Demokratie. Wir schlagen damit eine neue Seite auf und beseitigen den Schmutz.”
Erst dadurch wurde der heutige Prozess möglich. Unterstützt wird die Klage nicht nur von mehr als 500 Putschopfern, Parteien und Menschrechtsverbänden sondern auch von Parlament und Regierung. “Unsere Regierung hat sich entschlossen, im Prozess gegen die Putschisten des Militärputschs vom 12. September 1980 als Kläger auf zu treten. In der Türkei sind die demokratisch gewählten Regierungen stets die ersten und wichtigsten Opfer von Militärputschen gewesen. Unsere Regierung ergreift aus diesem Grunde in diesem Prozess Partei.”
- Jahresrückblick 1980 – Militärputsch in der Türkei
09.11.2010
Erdogan hat Macht des Militärs beschnitten
Jahrelang galt das türkische Militär als Hüter der Verfassung. Durch Staatsstreiche 1960, 1971 und 1980 riss es immer wieder die Macht an sich mit der Begründung, es wolle das Erbe von Republikgründer Atatürk wahren. Inzwischen hat die Regierung Erdogan die einstige Übermacht der Armee beschnitten. Seitdem wurden zahlreiche Militärs wegen angeblicher Umsturzpläne verhaftet.
Demonstranten in Ankara bezichtigen die USA, den Putsch von 1980 unterstützt zu haben. Die 94 und 87 Jahre alten Angeklagten Evren und Sahinkaya erschienen zum Prozessauftakt aus gesundheitlichen Gründen und wegen ihres hohen Alters nicht persönlich vor Gericht. Evren hatte sich erst gestern den Arm gebrochen. Doch das sei nicht wesentlich, sagt der Rechtsexperte Bahardim Erdem von der Universität Istanbul: “Niemand kann vorhersehen, ob die beiden Angeklagten des Prozesses angesichts ihres hohen Alters, den Ausgang bzw. den Urteilsspruch überhaupt noch miterleben werden. Allerdings ist die Tatsache, dass man diese beiden Putschgeneräle vor Gericht stellt schon allein aus gesellschaftlich-psychologischer Hinsicht wichtig. Man zeigt dadurch: Diese Menschen sind nicht unantastbar.”
Darüber hinaus erhoffen sich viele Türken Aufschluss über die Hintergründe des Staatsstreichs. Immer wieder war behauptet worden, NATO und USA hätten den Umsturz unterstützt. Wie lange der Prozess gegen die beiden noch lebenden Anführer des Putsches von 1980 dauert, ist völlig offen.
- ARD-Jahresrückblick 1980: Der Militärputsch in der Türkei
- Historischer Prozess gegen Putschgeneräle [M. Schramm, ARD Istanbul]
- Erster Prozess gegen türkische Putschgeneräle [C. Buttkereit, ARD Istanbul]
Stand: 04.04.2012 09:43 Uhr