21. Dezember 2024

Finanzkrise: „Der Staat hat den Gesellschaftsvertrag gebrochen”

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Pippa Malmgren: Ich glaube, dass Deutschland bereits mit dem Drucken von neuen D-Mark-Scheinen begonnen hat. Außerdem sind die alten D-Mark-Scheine nach der Einführung des Euro meines Wissens nicht vernichtet worden.
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Die westlichen Demokratien beruhen auf einem einfachen Vertrag. Staat und Bürger haben vereinbart: Die Bürger zahlen Steuern, der Staat verwendet das Geld für Sozialsysteme und Renten. Diese Vereinbarung wurde vom Staat gebrochen, weil er mit dem Geld die Banken rettet. Daher werden die Sozialsysteme geschliffen und die Bürger müssen zehn Jahre länger arbeiten. Dieser Zustand ist unhaltbar, sagt die Asset Managerin Pippa Malmgren im Interview mit den Deutschen Mittelstands Nachrichten.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Frau Malmgren, Sie vertreten die Auffassung, dass der Euro in der gegenwärtigen Form nicht überleben kann. Warum?
Pippa Malmgren: Die Menschen in Europa werden die Schmerzen, die ihnen durch immer gigantischere Sparprogramme bereitet werden, nicht ertragen können. Sie haben gerade in Deutschland gesehen, was nach den Verträgen von Versailles (1919, Friedensvertrag, der Deutschland ungeheure Reparationszahlungen nach dem ersten Weltkrieg auferlegte, Anm. d. Red.) geschehen ist. Was jetzt auf Europa zukommt, hat viel einschneidendere Folgen als Versailles.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Was kommt auf Europa zu?
Pippa Malmgren. (Foto: pippamalmgren.com)
Pippa Malmgren: Das Problem ist schon lange nicht mehr Griechenland. Griechenland ist in Wahrheit schon zweimal pleitegegangen: Mit dem ersten Haircut im Juli, und mit der aktuellen Diskussion um einen möglichen 80%-Haircut ist das acuh technisch gesehen schon eine Pleite. Aber das Problem ist Europa als Ganzes: Die kombinierte Schuldenlast der gefährdeten Staaten ist für den Rest zu groß – die können das nicht tragen.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Rechnen Sie mit weiteren Staatspleiten?
Pippa Malmgren: Ja – neben Griechenland werden auch Italien, Belgien, Spanien, Portugal und leider auch Irland pleitegehen.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Welche Folgen wird das für Deutschland haben?
Pippa Malmgren: Für Deutschland ist Preisstabilität aus historischen Gründen ein Grundpfeiler der Wirtschaftsordnung. Wenn die EZB die Krise durch Gelddrucken lösen soll, wird es Inflation geben. Und mit der Entwicklung, die der Euro zwangsläufig wegen der hohen Schulden nehmen muss, wird es Inflation geben. Das wird Deutschland nicht mitmachen, und das kann Deutschland gar nicht mitmachen. Jedes Volk hat seine geschichtlichen Lasten. In Griechenland zum Beispiel ist das Renteneintrittsalter nicht so niedrig, weil die Griechen so faul sind, sondern weil das als Folge des letzten Bürgerkriegs so beschlossen wurde. Solche Phänomene haben eine sehr starke Bedeutung für jedes Volk – und für Deutschland ist die Angst vor der Inflation ein solches Phänomen.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Nun ist Deutschland aber im Euro, und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gesagt, dass Europa und Euro identisch sind. Glauben Sie an eine Rückkehr der D-Mark?
Pippa Malmgren: Die wichtigsten deutschen Politiker haben gesagt, dass keine Möglichkeit zur Lösung der Krise ausgeschlossen ist. Dies bedeutet im politischen Kontext, dass wirklich jede Variante möglich ist. Ich weiß von Gesprächspartnern, dass der Denkprozess weit über das hinausgeht, was öffentlich gesagt wird.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Aber wäre denn das kurzfristig überhaupt möglich?
Pippa Malmgren: Ich glaube, dass Deutschland bereits mit dem Drucken von neuen D-Mark-Scheinen begonnen hat. Außerdem sind die alten D-Mark-Scheine nach der Einführung des Euro meines Wissens nicht vernichtet worden.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Wo wird denn gedruckt, in Deutschland?
Pippa Malmgren: Ich glaube, dass man in De La Rue bereits damit begonnen hat.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Sie glauben also wirklich, dass man in England bereits irgendwo die neue D-Mark druckt? Haben Sie dafür Belege?
Pippa Malmgren: Ich glaube, dass das so ist. Es ist ja nicht schwer festzustellen, wie viele Lastwägen die Fabrik verlassen.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Haben Sie Hinweise, dass in den vergangenen Wochen mehr Lastwägen als üblich De La Rue verlassen haben?
Pippa Malmgren: Ich glaube das.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Warum sagen die deutschen Politiker dann unablässig, dass es nur mit dem Euro weitergehen kann?
Pippa Malmgren: Die Generation von Politikern, die jetzt in den Regierungen sitzt, hat noch nie eine Krise erlebt. Sie haben Angst, große Angst vor Veränderungen. Sie klammern sich lieber an den Status Quo – denn den kennen sie! Und dann reden sie von einer „kontrollierten Pleite”. Es gibt keine kontrollierte Staatspleite – die Folgen sind immer chaotisch und unberechenbar.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Warum sagt Deutschland dann nicht einfach: Raus aus dem Euro?
Pippa Malmgren: Deutschland möchte, wieder aus historischen Gründen, nicht als der Schuldige am Scheitern des europäischen Projekts dastehen. Aber wenn Sie genau hinschauen: Auch die deutschen Politiker glauben nicht mehr an die Rettung. Über den EFSF wurde gesagt: Der EFSF funktioniert am besten, wenn er nie gebraucht wird! Das sagt man doch nur, wenn man gar nicht daran glaubt, dass er funktionieren könnte, wenn er wirklich einmal gebraucht wird. Die ganze Sache mit dem EFSF ist eine reine Show.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Als eines der Argumente für den Euro wird gerne gesagt: Ohne ihn bricht alles zusammen, insbesondere die deutsche Exportwirtschaft…
Pippa Malmgren: Erstens haben wir in Europa in den vergangenen Jahrzehnten 79 verschiedene Formen von Währungsreformen gehabt. Nirgendwo ist alles zusammengebrochen. Und die Frage des Exports stellt sich doch ganz anders: Was nutzt es den Deutschen, wenn sie einen weichen Euro haben, jedoch niemand mehr in Italien und Spanien und überall sonst wegen beinharter Sparprogramme einen Mercedes kaufen kann? Die Deutschen werden doch mit den gigantischen Sparprogrammen, die jetzt überall verordnet werden sollen, erst recht ein Exportproblem bekommen.
Noch viel wichtiger ist jedoch folgender Gedanke: Der deutsche Mittelstand hat hundert Jahre einer harten Währung äußerst erfolgreich bestanden. Warum? Weil der deutsche Mittelstand seine Produkte nicht als Billigprodukte verkauft, sondern wegen ihrer Qualität. Der deutsche Mittelstand ist fabelhaft, wenn es um Innovation geht – das hat er immer bewiesen, und wird er auch beweisen. Deshalb wird sich der Mittelstand in den kommenden Jahren große Exportmärkte in Asien erschließen – aber auch in den USA. Die Deutschen sollten die USA als interessanten Exportmarkt nicht übersehen.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Nun ist die Währung ja nur ein Aspekt des Problems. Warum spitzt sich der Konflikt jetzt so zu? Erstmals gehen tausende Menschen auf die Straße, um gegen das Finanzsystem zu protestieren…
Pippa Malmgren: Wir haben ein sehr grundlegendes Problem – übrigens nicht nur in Europa, sondern auch in den USA: Wer werden den Gesellschaftsvertrag neu verhandeln müssen. Was ist denn passiert? Staat und Bürger haben sich auf folgendes Modell geeinigt: Die Bürger zahlen Steuern, und dafür sorgt der Staat für das Sozialsystem und stellt die Renten der Bürger sicher. Und nun liefert der Staat nicht, was er versprochen hat. Stattdessen wird den Bürgern gesagt: Ihr müsst sparen, weil wir alle unsere Mittel zur Bankenrettung benötigen. Der Staat hat den Gesellschaftsvertrag gebrochen. Die Bürger fordern jetzt zu recht eine Neuverhandlung des grundlegenden Gesellschaftsvertrages.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Viele Experten warnen ja vor den exzessiven Bankenrettungen. Warum beharren die Politiker darauf?
Pippa Malmgren: Die meisten Politiker haben wenig Ahnung von Wirtschaft. Sie kommen aus anderen Berufen, und müssen jetzt auf einmal über Milliarden-Rettungen für Banken entscheiden. Daher ist es nur natürlich, dass sich die Politiker Berater aus den Banken holen – viele Berater! Und die sagen ihnen natürlich alle: Wenn die Banken zusammenbrechen, endet das in einer Katastrophe.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Was passiert wirklich, wenn das Finanzsystem zusammenbricht? Ist das dann der Weltuntergang, oder bemerkt es vielleicht gar niemand?
Pippa Malmgren: Das weiß natürlich niemand. Und natürlich will niemand den Crash – ich auch nicht! Aber man könnte ja einmal den Gedanken wagen: Warum gibt es nur ein Bail-Out für die Banken und nicht ein Bail-Out für die Öffentlichkeit, für die Bürger? Denn eines ist klar: Die Kosten für die Transformation des derzeitigen Systems sind so gigantisch, dass sie riesige Mengen des Wohlstands von den Bürgern auf die Banken abziehen. Es ist so viel, dass die Menschen zehn Jahre länger arbeiten müssen, und zwar zehn Jahre mit einem geringeren Lebensstandard.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Also im Grunde arbeiten die Leute dann für die Banken?
Pippa Malmgren: Na ja, es sind eben die leeren Rentenkassen, aber im weitesten Sinn kann man das so sagen.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Würde ein Banken-Kollaps Europa in den Abgrund reißen?
Pippa Malmgren: Niemand kennt die genauen Folgen. Aber es muss nicht zwangsläufig das Ende sein. Nehmen Sie zum Beispiel Schweden. Die Schweden hatten vor einigen Jahren de facto den völligen Zusammenbruch ihres Bankensystems. Sie hatten danach einige Jahre, die wirklich hart waren, und wo jeder Opfer bringen mussten. Aber danach waren die Schweden wieder da, und zwar stärker als vor dem Zusammenbruch. Ähnliches gab es in Indien. Da haben die Inder dann gesagt: Wir müssen vor allem unsere Unternehmer stärken, die sollen als Entrepreneure neue Dinge ausprobieren und zum Erfolg führen. Die indische Erfolgsgeschichte hat ihren Ursprung im Grunde in einem Bankenzusammenbruch.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Und was passiert, wenn die Banken gerettet werden – wie es jetzt ja die erste Priorität der Politik zu sein scheint?
Pippa Malmgren: Wenn wir jetzt versuchen das System zu retten, dann wird es eine garantierte Rezession geben, die zehn Jahre dauert.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Was ist die Alternative?
Pippa Malmgren: Die öffentlichen Gelder sind für die Öffentlichkeit da und nicht für die Banken. Dazu müssen wir wieder Vertrauen in unsere Demokratie gewinnen. In diesem Bereich gab es in den vergangenen Jahren die größten Versäumnisse.
Pippa Malmgren war Wirtschaftsberaterin von US-Präsident George W. Bush und leitet heute daie Asset Management Firma Principalis in London.

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